Schulradio setzt sich mit dem Nationalsozialismus auseinander

Aktiv gegen rechtsradikales Denken

Wenn das Thema auch ernst ist, so haben die Mitglieder des Schulradios doch auch viel Spaß. Beispielsweise wenn das Schneidprogramm nicht so will, wie die Schulradiomitglieder wollen. © Johannes Thomae

Johann Vogl aus Stephanskirchen wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Jetzt soll seiner durch einen sogenannten Stolperstein gedacht werden. Ein Projekt, in das auch Jugendliche eingebunden werden sollten. Die Arbeitsgruppe Schulradio der Mittelschule Stephanskirchen nahm die Herausforderung mit großem Engagement an.

Stephanskirchen – Man darf nicht aufhören, darüber zu reden, denn es war Unrecht. Im Gegenteil. Man müsste viel mehr darüber sprechen, denn man vergisst so leicht und die, die da dummes Zeug von sich geben, wissen meist einfach zu wenig. Dieser Satz zum Thema Judenverfolgung und Drittes Reich stammt nicht von Stephanskirchens Bürgermeister Rainer Auer, sondern vom 15-jährigen Nico, Mitglied des Schulradioteams der Stephanskirchener Mittelschule.

Rainer Auer wäre aber sicher 100-prozentig einverstanden mit dieser Äußerung – steckt in ihr doch viel von dem, weswegen man seiner Meinung nach die Erinnerung an Johann Vogl wachhalten sollte: Es geht erstens um die Überzeugung, dass man Dinge, die offensichtlich falsch laufen, weil sie den grundlegenden Regeln von einem anständigen Miteinander widersprechen, beim Namen nennen muss. Und zweitens geht es darum, dieser Überzeugung auch dann treu zu bleiben, wenn man ihretwegen etwas schwerer lebt, als ohne sie.

Ein Ziel – heute wieder wichtiger denn je. Aber schwere Kost für junge Leute im Alter von 14 bis 16, könnte man meinen. Nicht zuletzt, weil das Vorbild seit 80 Jahren tot ist und seine Person nur durch harte Arbeit, durch Lesen und Nachfragen, also durch Quellenarbeit und Recherche, wieder lebendig wird.

Die neun Schüler der Arbeitsgruppe aber stürzten sich mit Feuereifer auf die Aufgabe, umzingelten quasi das Thema gleich von mehreren Seiten. Einerseits gingen sie der Idee der Stolpersteine nach und wie diese in Stephanskirchen Fuß fasste, sprachen mit dem Initiator, mit Thomas Nowotny von der Initiative Erinnerungskultur, interviewten den Bürgermeister. Andererseits machten sie sich auf die Spuren von Johann Vogl, lasen, was es zu lesen gab, informierten sich bei Heimatpfleger Karl Mair.

Wacheres Gespür für Unrecht

Dass diese Beschäftigung nicht nur den Verstand, sondern bald auch das Gefühl der Schüler erfasste, mag daran liegen, dass der Mensch in diesem Alter noch ein wacheres Gespür für Unrecht hat, und auch noch die Gabe, sich unverstellt darüber zu empören. Es lag aber, wie Michaela Hoff, Lehrerin an der Schule und Projektleiterin des Schulradios erzählte, sicher auch an einem Besuch der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau zu Anfang des Projektes.

„Als wir an einem nebligen Novembertag nach Dachau fuhren, haben wir uns in aller Naivität vorgenommen, dort nach Johann Vogl zu suchen – eine Gedenktafel, eine Liste, irgendwo würde möglicherweise sein Name zu finden sein.“ Um so brutaler, so Michaela Hoff, war für die Schüler die Erkenntnis, dass dort so viele umgekommen sind, dass der einzelne Mensch vor seinem Leben noch seinen Namen verlor: Das, was aus einem Menschen aus Fleisch und Blut samt seinem Schicksal wurde, war eine bloße Zahl in dieser riesigen Kette der Ermordeten.

Für die Schüler ganz offensichtlich der Ansporn, der Person von Johann Vogl wieder so viel Leben zu geben, wie nur möglich. Sie arbeiten deshalb neben einer allgemeinen Reportage über das Stolpersteinprojekt in Stephanskirchen auch an einem Hörspiel speziell über Johann Vogl. Eine anspruchsvolle Herausforderung, wenn man die Sache so ernst nimmt, wie die Schulradiogruppe.

So hatten sie zum Beispiel die Idee, eine nächtliche Unterhaltung zwischen Johann Vogl und seiner Frau darzustellen, in der sie ihm sagt, dass sie Angst um ihn hat und er ihr erklärt, warum er sich weiterhin den Mund nicht verbieten lassen will. Eine Szene, wie sie in einer der beliebten historischen Fernsehdokus sicher zu sehen wäre.

Doch die Schüler bekamen Zweifel: Wir wissen ja gar nicht wirklich, wie Johann Vogl und seine Frau zueinander standen, wie sie miteinander geredet haben. Nicht mal, ob sie sich überhaupt darüber unterhalten haben. Dürfen wir das dann trotzdem so darstellen, weil wir es dadurch schaffen, Johann Vogls Haltung lebendiger werden zu lassen? Hier beweisen 14- bis 16-jährige Mittelschüler eine Aufgeklärtheit und eine Sensibilität im Umgang mit der historischen Wahrheit, die selbst bei Medienprofis nicht immer die Regel ist.

Überraschend viel Nachdenklichkeit zeigt sich auch, wenn man wissen will, welche Erkenntnis sie aus der bisherigen Arbeit gewonnen haben. Unabhängig voneinander nennen so gut wie alle die Befürchtung, dass sich ähnliches wie im Dritten Reich durchaus wiederholen könnte. Dass das nichts war, was ein für allemal überwunden und damit Geschichte ist. Unterschiedlich ist, wie die einzelnen mit dieser Sorge umgehen. Manche wie die 15-jährige Maggie sind froh, dass die Gefahr bei aller Bewusstheit glücklicherweise noch relativ abstrakt bleibt: „Wenn ich drüber nachdenk‘“, sagt sie, „bekomm ich Schiss. Ich versuch aber, mir mein Leben dadurch nicht auf Dauer vermiesen zu lassen“. Andere wie Nico sind der Überzeugung, dass man jetzt und sofort anfangen muss, aktiv gegen rechtsradikales Denken vorzugehen worunter er vor allem aufklären versteht. Denn auch Rechtsradikalismus fängt seiner Meinung nach vergleichsweise harmlos an. „Wenn einer in der Klasse den Hitlergruß zeigt, dann macht er das, weil er provozieren will, sich dabei toll findet. So einer denkt sonst nicht weiter drüber nach. Dem muss man einfach sagen, was damit alles verbunden ist.“

Vogls Botschaft wieder lebendig machen

So hat der Stolperstein in Stephanskirchen im Grunde seinen Zweck schon erfüllt, bevor er überhaupt verlegt ist: Für die zehn Mitglieder des Schulradios ist die Person, das Schicksal und, wenn man so will, auch die Botschaft Johann Vogls wieder lebendig geworden. Ein „es passt schon so, wies derzeit ist“ wird es für sie so leicht nicht wieder geben.

Mehr noch: Sie tragen das, was sie erfahren haben, mit ihrem Schulradio in alle Klassen der Mittelschule und vielleicht sogar darüber hinaus: Angedacht ist, die Beiträge zum Projekt der Stolpersteine und zu Johann Vogl am Gedenkstein über jedes Smartphone abrufbar zu machen.

OVB 27.6.2018 / Johannes Thomae